Disco = ich lerne (lat.) global auf kleinstem Raum
Von Susanne Klaar
Einleitung
Ob in Bussen und Bahnen, an Bahnhöfen oder Flughäfen – nahezu jede zweite Person starrt minutenlang konzentriert, den Kopf verkrampft nach unten geneigt, auf den kleinen Bildschirm des eigenen Smartphones. Zugegeben, niemand würde sich das Gerät in Augenhöhe vor die Nase halten. Was hat das nun mit dem Thema Reduktion zu tun? Ganz einfach. Unsere visuelle Umgebung schrumpft. Der Raum für Gestaltung wird kleiner. Nicht nur unsere Körperhaltung passt sich dieser Miniaturisierung an, auch unsere Lernkultur. Welchen Einfluss hat diese Entwicklung?
Zusammenfassend:
Dieses Essay untersucht die Frage, was es für uns alle bedeuten könnte, in einer digitalen Welt nicht nur zu projizieren und zu kopieren, sondern zu kommunizieren und zu partizipieren. Intensiv zu lernen – und das meiste aus den Möglichkeiten zu machen, die sich heute für die Digital Natives auftun.
„Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte, weil ich mich nur um die grundlegenden Dinge des Lebens kümmern und sehen wollte, ob ich nicht lernen könnte, was ich zu lehren hätte; damit mir in der Stunde meines Todes die Erkenntnis erspart bliebe, nicht gelebt zu haben. Ich wollte weder leben, was nicht leben war, denn das Leben ist kostbar; noch wollte ich mich der Resignation hingeben, solange dies nicht unvermeidbar wäre. Ich wollte intensiv leben und das Mark des Lebens aussaugen…“
Henry David Thoreau, Walden (1854)
Lernprozesse werden convenient
Der Sekundentakt, in dem Texte, Bilder und Videos im Internet verbreitet werden, nimmt rasant zu. Die Absender und das Publikum agiert lokal, die Auswirkungen sind global. Viel Content auf kleinstem Raum. Es ist interessant zu beobachten, dass mit wachsenden Datenmengen die Monitore der Empfangs- und Lesegeräte immer kleiner werden. Demnach müssen Informationen so aufbereitet und gestaltet sein, dass sie auf kleinsten Displays zu erfassen sind. Webseiten zum Beispiel müssen „responsiv“, also an die jeweiligen Eigenschaften der Endgeräte angepasst sein. Das betrifft den Funktionsumfang und die Gestaltung. Diese Entwicklung hat jedoch nur bedingt mit kleineren Displays, einer verbesserten Programmierung, schnellerer Hardware oder funktionalerer Software zu tun. Ausschlaggebend ist der Mensch und sein Verhalten. So rastlos unser Alltag voranschreitet und so „convenient“ alle Lebenslagen für uns sein müssen, so schnell wollen wir auch die vorhandenen Kommunikationskanäle mit Inhalten füllen und uns darüber austauschen. Ein Naturgesetz, das für Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen gilt.
Diese veränderte Lernkultur macht sich durch folgende Kriterien bemerkbar:
- Vernetztes Lernen, sowohl im Tagesgeschäft, im Haus als auch extern. Räumliche und zeitliche Grenzen verschwimmen.
- Kollaborative Tools gehören zum Lernalltag, vom Chat bis hin zum E-Learning.
- Suchen statt merken. Die Informationsdichte ist viel zu hoch, um sich alles zu merken.
- Probieren statt studieren. Hemmungen gegenüber neuen Möglichkeiten sind gering.
- Soziale Netzwerke haben einen hohen Vertrauensbonus
- Sammeln von Lösungskomponenten, anstatt das Rad neu zu erfinden
- schnelle, spontane und persönliche Kommunikation statt langer Meetings
- Multitasking und Kommunikation auf mehreren Kanälen parallel
- Hoher Vertrauensvorschuss durch schnelles Agieren im Netz
Ich lerne heute anders
Der Bildungsbegriff verändert sich rasant. Bücher sind in der Regel mehrere Jahre im Einsatz. Lehrer, Ausbilder und Professoren nutzen sie für ihren Frontalunterricht. Heute werden diese Bücher durch aktuelles, vernetztes und interaktives Lernen am Rechner ersetzt. Wir recherchieren online und internationale Interessengruppen und Commmunities bilden sich um hoch spezialisierte Themen und motivieren sich gegenseitig. Wissen wird zur Sucht, denn uns ist bewusst, wie schnell Wissen veraltet. Grundsätzlich gibt es zwei Lernmodi: offen/ansprechbar und geschlossen/konzentriert. Der „offene“ Modus ist unser Instant-Messenger-Status „verfügbar“. Lernen als Aktion per Multitasking, offen für Unterbrechungen und Zufälliges. Der „geschlossene“ Modus zeigt einen ausgeschalteten Instant-Messenger: keine Mails, „ein“ geöffnetes Computerfenster und konzentriertes Lernen.
Icons und Symbole – die (Zeichen-)Sprache der Lernzukunft
Reduzierter Raum zieht auch eine neue Form der (Zeichen-)Sprache im Bildungswesen nach sich. Die jüngeren Generationen wachsen ganz natürlich damit auf. Nicht nur das, sie prägen diese Zeichensprache auch. Botschaften werden auf ein Minimum reduziert und in „Chat-Sprache“ verfasst. Begriffe werden durch Icons ersetzt, denn der Mensch orientiert sich zunehmend an Piktogrammen und Bildmarken. Auch visuell steht das Bildungswesen vor fundamentalen Veränderungen. Im Moment lebt es von seiner Substanz. Das Bildungswesen ist intellektuell und gemessen an seinem Ideenreichtum an einem Wendepunkt. Es darf nicht in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft. Lernen ist kollaborativ und öffentlich. Das setzt lebenslanges Lernen voraus. Durch Coaching oder E-Learning ist der Mensch verantwortlich, in seine persönliche Weiterentwicklung zu investieren.
Im Netz auffindbar sein ist mittlerweile „State Of The Art“. Den ersten Eindruck, den wir von einem anderen Menschen bekommen, findet meist im Internet statt. Ob Facebook, Twitter, Xing, Pinterest oder Blog: das ist sehr unterschiedlich und hängt von der Zielgruppe ab. Was wird erwartet, wo wird gesucht. Die visuelle Kommunikation hat bereits die Lernstrukturen verändert und eine Prozess im Hinblick auf die Lernen in Netzwerken beeinflusst. Einerseits hat sich die Welt der Kommunikation verändert, andererseits entstanden neue Zugänge zum Wissen, neue „nachhaltige“ Möglichkeiten des Lernens. Wie kann ich den Umgang mit diesem digitalen Angebot optimal für mich gestalten? Wie kann ich mich als Individuum in der digitalen Gesellschaft entfalten? Und: Wie kann mir die Gesellschaft dabei helfen, sowohl mein eigenes Potential in dieser Welt zu erkennen, als auch auf möglichst menschliche Weise mit anderen zusammen lernen? Das „Ich“ im Zusammenhang damit, welches Wissen ich mit anderen teile ist der Katalysator des Lernens und zeigt die Identität der digitalen Technologie. Sie kann Austausch bieten, als Bücherei dienen, Wissensdurst stillen, Freund, Verführer oder auch Gefängnis sein. Das Konzept Eudaimonie, welches Aristoteles vor über zweitausend Jahren entwickelt wurde, steht für eine möglichst tugendhafte Lebensführung: Eine Eigenschaft, die den Menschen unter allen Geschöpfen einzigartig macht. Weniger konsumieren – mehr denken.
Let´s Disco!
Das Essay finden Sie auch hier:
Das open book ist ein Projekt der AG Medien des Runden Tisches der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung